Heute war ich zu einem interessanten Nachmittag im Rathaus in Göttingen eingeladen. Frau Krämer von Radio Bremen wollte dort nämlich ihre Sendung "Literaturcafé" aufzeichnen und das Projekt "Lesen statt Laub fegen" darstellen. Dieses Projekt ist eine Initiative der Jugendgerichtshilfe Göttingen. Jugendlichen Straftäter, die eine Sozialstrafe auferlegt bekommen, wird zur Wahl gestellt, sich mit einem Buch zu beschäftigen, das ihnen vom Jugendgericht vorgeschrieben wird.
Die Stadtbibliothek Göttingen hat speziell dazu verschiedene Bücher angeschafft, die Themen wie Schwänzen, Mobbing oder Gewalt zum Inhalt haben. Neben dem Lesen müssen die Jugendlichen auch verschiedene Fragen zu den Büchern beantworten, die mitunter recht persönlich sind.
Da bei diesem Bücherrepertoire auch drei Bücher von mir waren, wurde ich gebeten, zu dieser Runde dazu zu kommen. Außerdem waren zwei Jugendrichter, jemand von der Jugendgerichtshilfe, die Leiterin der Stadtbibliothek und eine Jugendliche eingeladen.
Nicht überall ist die Idee des Projekts so wohlwollend aufgenommen worden wie in Göttingen, berichtete der Jugendrichter. Kollegen in anderen Städten ernteten dafür zunächst Häme und Spott - so nach dem Motto: Da begehen die Jugendlichen eine Straftat und dürfen auch noch ein Buch lesen.
Aber die Realität ist ja längst anders geworden. Viele Jugendliche empfinden es als große Belastung, ein Buch lesen zum müssen oder eine Bücherei zu betreten. Beim Lesen aber bemerken sie, dass es ihnen durchaus etwas bringt - dass sie etwas über ihr Problem oder über die Perspektive der Opfer erfahren.
Das erzählte auch die Jugendliche, die diese "Strafe" in Anspruch genommen hatte. Sie war nämlich Legasthenikerin, und das Lesen fiel ihr schwer. Doch das Buch zum Thema Abzocken hatte sie beschäftigt, die Rolle der Täter und Opfer hatte sie berührt.
Auch war sie zum ersten Mal allein in der Stadtbibliothek gewesen.