Ich bin gezwungen, den
Samstagabend in der Notaufnahme zu verbringen. Sohn Nils hat sich bei einem
Familienbesuch das Hoverboard seines Neffen ausgeliehen und einen beeindruckenden
Stunt gedreht. Nun sitzen wir zwischen seufzenden und stöhnenden Menschen mit
dicken Armen, aufgeschlitzten Knien und fiebrigen Stirnen. Durch das lange Warten
und die Sorgen um die Wunden bilden wir eine gemeinsame Gruppe. Jeder Neuzugang
wird aufmerksam angeschaut.
Zu später Stunde kommt eine
junge Mutter mit einem kleinen Jungen auf dem Arm. Er trägt keine Schuhe und
alle Blicke richten sich entsetzt auf den großen Zeh, der blutig und zerquetscht
aussieht. Der Zehnagel befindet sich an einer Stelle, an der er nicht sein
dürfte. Der Junge versucht, die aufsteigende Panik immer wieder zu unterdrücken.
„Nicht hingucken, nicht
hingucken“, murmelt er wie ein Mantra. Gleichzeitig hält er die Hand vor die
Augen, spreizt die Finger und blinzelt verzweifelt zu uns hinüber. Die Mutter
drückt ihn an sich.
„Es gibt hier ein paar
schöne Bücher“, sage ich zu dem Jungen. Ich bin schließlich schon zwei Stunden
hier und kenne mich aus.
Die Mutter ist
erleichtert, geht in die Kinderecke und kommt mit einem Dinobuch zurück. Dann
beginnt sie zu lesen. Wir sehen, wie sich die Aufmerksamkeit des Jungen gespannt
auf das Buch richtet. Auch wir lauschen der Geschichte. Was ist denn schon ein lächerlicher
Schmerz, wenn man direkt in das aufgerissene Maul eines Dinos blickt.