Bei der Haushaltsauflösung meiner Tante fiel mir ein Buch
in die Hände, von dem sie mir oft erzählt hatte. „An der Hand meiner Schwester“
heißt es. Die Autorin Bärbel Probert-Wright beschreibt darin, wie sie sich mitten
im Krieg an der Hand ihrer Schwester auf den Weg macht, um ihre Mutter zu
finden. Die beiden Mädchen gehen zu Fuß vom thüringischen Tabarz bis nach
Hamburg. Sie erleben das bittere Ende des Krieges auf dramatische Weise. Sie
übernachten in Kellern und Scheunen, erleben hilfsbereite Soldaten, freundliche
Bauern, Flüchtlinge, die sie begleiten. Aber sie sehen auch das ganze Ausmaß
des Kriegsendes mit Tieffliegern, Bombenabwürfen, Toten, Plünderern und einer großen Hungersnot.
Das Buch hat mich gefesselt, vielleicht, weil es aus dem
Blickwinkel eines erstaunten Kindes geschrieben ist, das die Dinge sachlich
betrachtet und versucht, einzuordnen. Es wertet nicht, ist nicht parteiisch, sondern
zeigt auf eine bedrückende Weise, wer die Leidtragenden des Krieges sind.