Sonntag, 28. Februar 2016

Alte Freundschaft


Im Kreis sitzen wir am Wochenende zusammen, reden, hören zu, schweigen gemeinsam, lachen, sind traurig, essen zusammen, teilen den Sekt miteinander, gehen eine Runde durch den Park.
Ich genieße langjährige Freundschaften bei einem Wiedersehen. Auch wenn wir uns eine Zeitlang nicht gesehen haben, ist diese Vertrautheit sofort wieder da.
Ich habe hier im Blog schon einige Male von der wichtigsten Aus- und Fortbildung meines Lebens erzählt, einer Gestaltpädagogikausbildung, die viele Jahre dauerte und mich lehrte, auf den Punkt zu schauen. Die Wegbegleiter dieser Ausbildung sind enge Vertraute geworden. Geschwisterlich haben wir uns durch Höhen und Tiefen des Lebens getragen. Das prägt die Vergangenheit und trägt in der Zukunft.

Mittwoch, 24. Februar 2016

Elternschock


Morgens beim Zeitunglesen musste ich schon grinsen. Unsere Zeitung brachte ein Zitat von Jan Weiler: „Man kann seine Eltern heute am ehesten schockieren, indem man sich einen Bart wachsen und einen Koran im Zimmer rumliegen lässt. Dann brennt die Hütte.“
Es ist also endlich wieder leicht geworden, seine Eltern zu schockieren.
Die Generation unserer Kinder dagegen hatte ziemliche Mühe, sich von uns Eltern abzugrenzen. Da musste man sich Metall in die Nase und die Lippe stoßen lassen, man musste sich Rasterzöpfe flechten lassen oder die Haare zu einem Kamm rasieren und in bunten Farben zum Leuchten bringen. Viele dieser Distanzversuche kosteten echte persönliche Opfer und ein irres Geld. Noch schwieriger aber war es, eine eigene Weltanschauung zu vertreten, denn wir Eltern waren an allem interessiert und zeigten Toleranz, wir teilten die Kleidung mit ihnen und ahmten – wenn es nicht gerade Rasterzäpfe und farbige Kämme waren – ihre Frisuren nach. Auf die Weise wird es schwer, die eigene Identität zu entwickeln.
Aber ob Koran oder Rasterzöpfe, die Zeit ist für Eltern und Jugendliche immer furchtbar anstrengend. Ich erinnere mich an einen Elternabend – einer meiner Söhne war in der Achten – als wir Eltern alle im Kreis saßen, schweigend, müde, mit tief liegenden grau geränderten Augen. Und irgendwann sagte eine Mutter in die Stille: „Ja, so ist es.“ Sie erklärte nichts, und doch wussten wir alle, wovon sie sprach. „Es ist wie eine Kinderkrankheit“, sagte dann jemand anderes. „Je schlimmer es kommt, umso besser ist es.“
Ich habe es hinter mir – und darüber bin ich heilfroh. Mut an alle, die es noch vor sich haben oder mittendrin stecken: Es ist irgendwann vorbei. 

Donnerstag, 18. Februar 2016

Zwischenintermezzo


Am Zustand meines Schreibtisches ermesse ich immer meine persönliche Befindlichkeit. Im Moment ist einiges aus dem Gleichgewicht geraten. Persönliche Briefe tummeln sich neben Rechnungen, dazwischen Zeitpläne zur Abgabe von Manuskripten, Konzeptpapiere, Kulis, eine Häkelnadel, eine Kette, ein Schutzengel … und das noch zu korrigierende Manuskript musste schon auf das Sofa ausweichen.
Einige Versuche habe ich unternommen, um wieder in mein Alltagsleben abzutauchen. Heute war ich sogar in der Mukkibude, allerdings noch so zittrig, dass ich einige Übungen abbrechen musste.
„Betrachten Sie diese Zeit als Zwischenintermezzo“, sagte mir der Arzt, der heute mit mir die Strahlentherapie absprach. Den Ausdruck fand ich irgendwie seltsam passend: Zwischenintermezzo im Sinne von Zwischenspiel, Überleitung, Innehalten, Verletzlichkeit spüren, Dankbarkeit zeigen für alle, die plötzlich so selbstverständlich da sind, Dankbarkeit auch für das Leben, dass es schön ist und dass es mich nicht gleich alle tiefsten Tiefen erleben ließ. 

Donnerstag, 11. Februar 2016

Schonfrist


Ein paar Tage Schonfrist sind angesagt. Ich erhole mich im Spreewald und genieße die Enkel. Aufgeregt kommen sie mir entgegen gerannt, plappern beide gleichzeitig auf mich ein. Clara hat an Wortgewandtheit kräftig zugelegt. Nicht mehr lange, und sie stellt ihren Bruder mit ihrem Plappern in den Schatten. Er ahnt schon, dass er bald nicht mehr mithalten kann, und hält ihr immer wieder den Mund zu. Noch weiß er nicht, dass es Frauen auch bei dieser Gelegenheit schaffen, zu reden.
Ich höre dem einen und dem anderen zu, staune, kommentiere, genieße. Und bei beiden die vorsichtige Frage: Bleibst du jetzt? Heute ja, sage ich. Und morgen auch, und den Tag danach auch, und danach auch und danach auch. Das macht sie zufrieden. Länger planen sie sowieso noch nicht…

Sonntag, 7. Februar 2016

6. Runde


Der Auer-Verlag gehört zu den wenigen Verlagen, die über neue Auflagen informieren und neue Belegexemplare verschicken. So erfahre ich, dass mein Buch „Kriminell gut lesen“ in die 6. Auflage gegangen ist. Voller Stolz schlage ich das Buch auf und lese auf der ersten Seite: „Für meinen Testleser Dion Yannes Klatt“. Ich bin überrascht, hatte ich doch ganz vergessen, dass ich Dion dieses Buch damals gewidmet hatte. Und zu Recht – denn wir hatten eine tolle Zusammenarbeit. 
Ich brauchte so dringend einen Testleser für meine Kurzkrimis, denn es ist immer wichtig zu wissen, ob die Geschichten schwer, beziehungsweise leicht genug sind, um sie als Grundschüler lösen zu können.
Dion ist mein Neffe. Zu der Zeit, als ich das Buch schrieb, war er noch in der Grundschule. Er las nicht besonders gerne. Ich bot ihm eine Kooperation an – Testlesen gegen 2,- € pro Krimi, und er stieg begeistert ein. Von da an wurde er mein Zielgruppenexperte. Er sagte mir immer, wie ihm der Krimi gefiel und musste mir entweder die Lösung des Krimis mitteilen oder schreiben, dass er noch einen Hinweis brauchte. Auf die Weise konnte ich erkennen, ob ich auch für die Leser hier und da noch einen Hinweis einbauen musste.
Heute ist Dion im Studium, was mir zeigt, wie die Zeit vergangen ist. Umso schöner, dass das Buch immer noch aktuell ist. 


Mittwoch, 3. Februar 2016

Neue Erfahrungen


Das Schicksal hat uns in dieser Krankenhauswoche zusammengeschweißt, meine Zimmernachbarin und mich. Wir haben gemeinsam geredet, geschwiegen, gelesen, geschlafen, wurden nacheinander operiert, haben gemeinsam gelitten und gelacht. Nun warten wir ängstlich auf den Laborbefund. Dieses gemeinsame Warten macht die Situation erträglicher, und doch hat man plötzlich auch doppelte Angst – die Angst um sich selbst und den anderen. 
Langsam schieben sich die weißen Gestalten der Visite ins Zimmer. Sie sind fröhlich und zugewandt. Meine Krankenakte wird zuerst geöffnet und mir lächelnd mitgeteilt, dass alles in Ordnung ist. Der Tumor ist entfernt, in anderen Organen wurde nichts gefunden. Noch die Drainageröhrchen ziehen, dann darf ich nach Hause. Ich bin glücklich – und doch nicht so ganz.
Langsam wenden sich Schwestern und Ärzte der Nachbarin zu. Die Gesichter sind ernst, besorgt, zugewandt. Ich sehe, wie sie sich auf die Lippen beißt, wie sie ihren Rücken strafft, um die Botschaft erst mal an sich abprallen zu lassen. Die Angst kriecht auch mir den Nacken hinauf.
„Für Sie“, sagt die Ärztin, „haben wir leider noch keine gute Nachricht. Die Laborwerte sind noch nicht gekommen.“
Wir brauchen einen Moment, diese Botschaft zu verarbeiten. Es ist nichts passiert – gar nichts. Keine schlechte Nachricht wurde überbracht, aber auch keine gute. Einfach noch einen Tag aushalten mit dem Warten. Wie gut – und auch so schrecklich!


Das Herzkissen, das ihr auf dem Foto seht, wird von den Landfrauen für die Brustkrebspatienten genäht und erwartete mich auf meinem Krankenhausbett. Nach einer Operation kann man es sich so wunderbar in die Achselhöhle zwischen Arm und Körper stopfen. Auf die Weise ist es möglich, auch auf der Seite zu liegen und zu schlafen, und es war außerdem ein lieber Trost.