Mittwoch, 29. Februar 2012

Berufsalltag


Mein Beruf teilt sich oft in zwei sehr unterschiedliche Bereiche. Der eine ist der ruhige, einsame Teil. Ich sitze zu Hause an meinem Schreibtisch, plotte, schreibe, lese oder korrigiere. Der Tag vergeht langsam.
Dann wieder gibt es die Zeit der Lesungen. Ich packe meinen Leserucksack, flitze über die Autobahnen, begegne Lehrern und Schülern, sitze in einem Klassenraum oder einer Aula, lese, erzähle, beantworte Fragen.
Diese beiden Teile - der eine ruhig und einsam, der andere unruhig und  lebendig, können gegensätzlicher nicht sein. Ich kann gar nicht sagen, welcher Bereich mir besser gefällt. Immer wenn die Schreibphase zu lange dauert, habe ich das Gefühl, zu vereinsamen und sehne mich nach Begegnung und unterwegs sein. Und wenn die Lesungsphase zu lange dauert, freue ich mich auf meine Insel am Schreibtisch.
Der Januar und Februar waren Schreibzeiten, im März beginnt wieder die Lesungsphase.
Ab morgen bin ich wieder on the road.

Hier meine nächsten Lesetermine:

1. März - Lesung in Hattingen

5. März - Lesung in Ellwangen-Röhlingen

8. März - Lesung in Mülheim

13. März - Lesung in Habichtswald

14. März - Lesung in Halle

19. März - Lesung in Bunde

20. März - Lesung in Syke

21. März - Lesung in Bad Fallingbostel

22. März - Lesung in Salzgitter

23. März - Lesung in Dinklage

27. März - Lesung in Jülich

29. März - Lesung in Lemgo

Dienstag, 28. Februar 2012

Abhängig


Als ich unsere Islandpferde in den Stall bringen will, kommt eine Frau über den Hof. Sie schiebt einen Jungen in einem Rollstuhl vor sich her. Er ist an Körper und Beinen festgebunden. Als er die Pferde sieht, kreischt er laut und wirft sich von einer Seite auf die andere. Der Rollstuhl wackelt. Die Frau hat Mühe, ihn festzuhalten. Der Junge hat Bärenkräfte.
Ich bin unsicher, ob er Angst hat, aber dann sehe ich, dass er lacht. Ich hole mein Pferd aus dem Paddock und führe es zu ihm. Der Junge lacht lauter, wirft sich wilder hin und her. Rós bleibt cool. Islandpferde sind durch nichts aus der Ruhe zu bringen.
Der Junge liebe Pferde, erfahre ich jetzt von der Frau, die stundenweise seine Pflegerin ist. Beim therapeutischen Reiten sitze er ganz still.   
Auch jetzt lächelt er glücklich.
 „Wie heißt du?“, frage ich ihn.
Die Pflegerin nennt mir seinen Namen. „Er kann nicht mehr sprechen“, erklärt sie mir. „Er leidet an einer seltenen Stoffwechselkrankheit und baut immer mehr ab. Früher konnte er noch reden und laufen, jetzt kann er gar nichts mehr.“
Ich reiche ihm meine Hand. Er zerquetscht sie fast. Kreischt dann wieder und wirft sich hin und her.
„Der hat nicht mehr lange“, sagt die Pflegerin. „Schlimm für die Eltern.“
Jetzt wird der Junge ganz still. Und mit einem Mal sieht er ganz traurig aus.
Ich streichele seine Hand.  „Das können Sie doch nicht einfach so sagen“, sage ich.
„Ach“, sagt die Pflegerin. „Der kriegt doch gar nichts mehr mit.“

Sonntag, 26. Februar 2012

Kreativer Umgang mit der Ungeduld

An diesem Sonntag las ich mich an einem Artikel über Ungeduld fest. Er berührte und beschäftigte mich.
Ich bin immer ein ungeduldiger Mensch gewesen (meine Kinder und vor allem meine Schüler würden heftig mit dem Kopf nicken, wenn sie das lesen).
Noch vor einigen Jahren hatte ich für diese Ungeduld eine Rechtfertigung. Ich war einfach immer unter einem großen Zeitdruck: Von der Schule nach Hause hetzen - kochen - mit dem Hund raus - Kind 1 zum Musikunterricht bringen - Kind 2 zum Chor fahren - Kind 3 Vokabeln abfragen - einkaufen - Diktate nachschauen - zur Konferenz hetzen…  Ich war fremdbestimmt durch die Termine der anderen, und wenn einer es wagte, meine Zeit außerplanmäßig in Anspruch zu nehmen, konnte mich das noch mehr unter Druck setzen.
Nun ist diese extreme Fremdbestimmung vorbei. Und doch spüre ich immer noch diesen Zeitdruck im Nacken. Ich werde ungeduldig, wenn die Schlange an der Kasse zu lang ist, wenn jemand im Gespräch nicht auf den Punkt kommt, wenn jemand zu Besuch vorbei schaut, den ich nicht erwartet habe.
In der letzten Zeit lerne ich immer mehr, die Ungeduld als persönliches Lernfeld zu betrachten. Ich überprüfe, ob ich tatsächlich unter Zeitdruck stehe, und wie viel Lebenszeit es mich wirklich kostet, wenn ich mich geduldig auf die Situation einlasse. Überrascht stelle ich fest, es kostet nicht viel Zeit, aber es bringt mir viel mehr Kraft und  Ruhe, den Augenblick entspannt anzuschauen.
Und beim letzten Mal in einer langen Schlange im Aldi hat mich eine richtig gute Geschichte erwischt… 

(Foto: Öland, Schweden)

Samstag, 25. Februar 2012

Wochenendarbeit


Da haben sie endlich mal ein freies Wochenende, und dann müssen sie auch noch im Garten schuften.
„Wie schade, dass ich kein Mädchen bin“, seufzt einer. „Dann könnte ich jetzt im Haus auf euch warten und schon mal den Kaffee kochen.“
Ich weiß nicht, woher er so ein Frauenbild hat. Ich jedenfalls habe Karren voller Erde geschoben!

Freitag, 24. Februar 2012

Trauerfeier um die Opfer der Neonazis


Ich bin kein Freund von pathetischen Sätzen. Dieses „Deutschland verbeugt sich vor den Opfern des Terrors“ ist mir ehrlich gesagt zu unterwürfig und zu unehrlich. Und wenn ich dann lese, dass einige türkischen Zeitungen gleich wieder mit den Zähnen klappern und das Attentat als Völkermord anprangern, ärgere ich mich schnell.
Aber dann hat mich die persönliche Form der Trauerfeier doch sehr bewegt.
Es war so wichtig, ein Zeichen zu setzen und um Entschuldigung zu bitten. Zehn Morde, die über Jahre nicht aufgeklärt wurden, obwohl die Polizei doch eine nahezu 100 % Aufklärungsrate bei Morden vorweisen kann, darf man nicht einfach ignorieren. Neun Menschenleben wurden nicht wichtig genommen, weil die Toten Ausländer waren. Erst als der Mord auch eine deutsche Polizistin betraf, legte sich die Polizei ins Zeug. Diese Tatsache muss einem die Tränen in die Augen treiben.
Neun Menschen starben unschuldig, einfach so, weil sie Türken oder Griechen waren. Es waren Menschen, deren Tod tiefe Lücken bei ihren Angehörigen und Freunden hinterließen. Es waren Menschen, die sogar noch nach ihrem Tod in Verruf gebracht wurden, etwas Kriminelles getan zu haben und darum an ihrem Tod Schuld zu sein.
Dafür war eine Entschuldigung mehr als überfällig. Und es war wichtig, ihnen einen würdevollen Abschied zu gestalten. Wenigstens das. 
(Foto: Moschee, Pécs) 

Donnerstag, 23. Februar 2012

Konkurrenz


Als sie klein waren, maßen sie ihre körperlichen Kräfte und bolzten durchs Wohnzimmer. Der eine draufgängerisch und mutig, der andere nachdenkend und mit guten Judotricks.
Heute vergleichen sie ihre Handys. Der eine ein iPhone, der andere ein Samsung Galaxy.
Beide schieben ihre Bildflächen von links nach rechts und von oben nach unten. Klappen hier und da ein Programm auf, vergrößern oder verkleinern.
- Läuft GTA bei dir?
- Klar.
- Guck mal, die Kamera. Und jetzt ist es ein Spiegel.
- Hab ich auch.
- Ich hab auch `ne tolle Sprachsteuerung.
- Ich auch.
- Aber nur in Englisch.
- Wir verstehen uns aber trotzdem.
Sie reden über Taschenlampen-Apps, über Kochrezept-Apps, und über Skyview. Es gibt sogar eine Eieruhr- und einen Wochensprüche-App. Aber außer mir ist niemand so wirklich beeindruckt. 
(Ich kenne nämlich nur einen einzigen App, und den auch erst seit einer Woche.)
Zuletzt herrscht irgendwie Punktegleichstand. Mit einer Ausnahme.
„Ich würde mal sagen, dein iPhone punktet in erster Linie im Preis“, spottet Nils.

Mittwoch, 22. Februar 2012

Für die Mutigen


Wenn in einer Situation einer einen anderen über den Tisch zieht und dieser andere bemerkt es nicht oder will es nicht bemerken, hat immer der die schlechtesten Karten, der irgendwann seine Stimme erhebt und das Spiel aufdeckt. Der Überbringer der schlechten Nachricht wird geköpft. Nicht der Verursacher. Und schon gar nicht der, der den Kopf in den Sand steckt.
Das ist so ungerecht!
Es gehört viel Mut dazu, die Wahrheit zu sage. Dem anderen zu sagen, du bist auf dem Holzweg. Du schaust nicht richtig hin. Du hast dich verrannt. Du bist nicht ehrlich zu dir. Die Situation ist anders, als du sie dir denkst. Sie dir schön denkst. Weil du die Wahrheit nicht ertragen magst. Weil du denkst, wenn du nicht hinschaust, passiert es nicht.
An dieser Stelle danke an alle, die es wagen, ehrlich zu sein. Die mutig sind, obwohl sie wissen, jetzt kriegen sie die ganze geballte Ladung an Wut ins Gesicht geschleudert. Und die den Weg trotzdem weiter gehen. Weil ihnen der andere wichtig ist. Oder weil sie Ungerechtigkeit nicht ertragen wollen.

(Foto: Darß)

Dienstag, 21. Februar 2012

Unglückstage


Ich bin eigentlich nicht abergläubisch. Eine schwarze Katze von links finde ich allenfalls niedlich, unter einer Leiter herzugehen, beängstigt mich überhaupt nicht, und dass der Schornsteinfeger Glück bringt, bezweifele ich schon lange. Der bringt allenfalls eine dicke Rechnung.
Aber wenn der Computer sich morgens aufhängt und mir nicht das gewohnte Bild so anzeigt, sodass ich nur noch auf das word-Bildchen klicken muss und dann losschreiben kann - dann beschleicht mich die Sorgen, der Tag könnte mein Unglückstag werden.
So wie heute. Da hängte sich der Computer irgendwo auf, brummte und summte, und der kleine blaue Ring drehte minutenlang seine Kreise. Also startete ich noch einmal neu - und noch einmal. Bei jedem Neustart überfiel mich die Sorge - heute wird es nichts.
Jetzt habe ich ihn endlich durchgestartet, kriege aber eine Mail, die sich nicht öffnen lässt, dann folgt ein blöder Anruf zu einem Operationstermin, vor dem ich Angst habe… dass das Wetter blöde ist, muss ich ja wohl nicht extra erwähnen, aber vielleicht noch, dass mir heute ziemlich übel ist und mein Kopf brummt. Ach ja, und frieren tue ich auch. 

(Foto: Barcelona)

Montag, 20. Februar 2012

Der dritte Kaffee


Mein Sohn ist nur auf der Durchreise. Und eigentlich müsste er längst wieder unterwegs sein. Doch irgendwie sind wir in der Küche hängen geblieben - nun schon bei der 3. Tasse Kaffee und einem intensiven Gespräch.
Es tut gut, so offen zu reden. So vertraut. So unabhängig von irgendwas.
Himmel, wie die Zeit verfliegt. Nur noch eine halbe Tasse. Dann nichts wie los.  
Fahr bloß vorsichtig!!!

Sonntag, 19. Februar 2012

Bestseller schreiben


„… geschrieben von unserer Bestsellerautorin Annette Weber“, schreibt ein Verlag gerne und setzt dann neben mein Buch ein Sternchen mit der Aufschrift „Bestseller“. Das ist mir immer ein bisschen peinlich, denn es stimmt natürlich so überhaupt nicht. Das Buch mit dem Sternchen verkauft sich in diesem Verlag gut, es deswegen als Bestseller zu bezeichnen, ist aber völlig abwegig und beruft sich auf eine persönliche Verlagsstatistik und auf den Wunsch, den Käufer zum Kauf anzuregen.
Ich wusste eigentlich bis vor kurzem gar nicht, wann ein Buch ein Bestseller ist. Meiner Meinung nach war das ein Buch, das in den Spiegelhitparaden auf den ersten zehn Plätzen gelandet und bei Thalia im Eingangsbereich platziert ist. Ich hatte damit überhaupt nichts zu tun.
Nun aber erfuhr ich die genaue Definition des Wortes Bestseller. Laut Wikipedia ist ein Buch dann als Bestseller zu bezeichnen, wenn es sich mehr als 100.000-mal verkauft hat. Und damit stelle ich nun fest: Ich habe per Definition tatsächlich einen  Bestseller geschrieben. ICH!!! Das ist Wahnsinn, oder?