Donnerstag, 28. November 2019

Lebenslisten


Tausend Dinge, die man tun sollte, bevor man stirbt, heißt ein bekannter Buchtitel. Ehrlich, bei solchen Lebenslisten sträuben sich mir die Nackenhaare, und ich frage mich unwillkürlich: Was hat derjenige denn bisher gemacht, wenn noch tausend Dinge übrig bleiben? Eins ist klar: Viel gelebt hat er bis jetzt jedenfalls nicht.
Spontan sind mir diese Lebenslisten zuwider. Das liegt sicherlich daran, dass ich noch gar nicht sterben will. Auch fällt mir gar nichts ein, was ich so unbedingt noch bis zum Lebensende gemacht haben möchte.
Aber nachdem ich das Thema Tod und To-Do-Liste etwas näher an mich heran gelassen habe, fallen mir doch ein paar Dinge ein, die ich noch gerne bis zu meinem Lebensende machen möchte. Tausend sind es natürlich nicht, allerhöchstens 7.
Ich würde zum Beispiel noch mal gerne nach Brasilien fliegen und unsere Freunde wieder treffen. Ich würde auch gerne mal einen Pilgerweg entlang gehen. Und eine Fahrt mit dem Wohnmobil quer durch die USA sollte auch noch in diesem Leben drin sein.
Einen Lebenswunsch aber erfülle ich mir an diesem Wochenende. Mal schauen, vielleicht erzähle ich euch davon. Auf alle Fälle sind nach dem Wochenende nur noch 6 Punkte auf der Liste. Jedenfalls, wenn alles gut geht ... 


Sonntag, 24. November 2019

Totensonntag



Heute widme ich diesen Post meinen Eltern Elisabeth und Wilhelm Weber, denen ich immerhin mein Leben zu verdanken habe.
Wie ihr an dem Grabstein erkennen könnt, liegen zwischen dem Sterbedatum meiner Mutter und dem meines Vaters 28 Jahre. Das ist so eine lange Zeit, dass mein Vater das Grab meiner Mutter ein zweites Mal kaufen musste, sonst wäre es eingeebnet worden. Aber er hatte immer den Wunsch, dort neben ihr beerdigt zu werden.
Jetzt, wo sie beide wieder zusammen liegen, fühlt sich das Grab vollständig an. Ich gehe gerne über den Friedhof und besuche sie dort. Der Friedhof ist groß, fast parkähnlich, und doch ist allen, die darüber gehen klar, dass man an diesem Ort inne halten und die Ruhe der Toten respektieren sollte.
Ich erinnere mich noch, als ich mit meinem Vater und meiner Schwester über den Friedhof ging, um einen Platz für meine Mutter zu suchen, die sehr plötzlich und viel zu früh gestorben war. Damals war uns so schwer ums Herz, und doch hatten wir den Wunsch, einen Ort für sie zu finden, der sonnig ist und das Herz weitet. So hat dieses Grab für mich in seiner Schönheit und Stille eine ganz besondere Kraft.

Samstag, 23. November 2019

Lesung in Essen



Wer hier regelmäßig mitliest, wird bemerkt haben, dass ich nicht mehr so oft zu Lesungen unterwegs bin. Mein Privatleben ist unruhig geworden und ich bringt mich dazu, mehr Kilometer auf den Autobahnen zu verbringen, als mir lieb ist. Da habe ich die Lesungen und die damit verbundenen Fahrten deutlich reduziert. Aber Ausnahmen gibt es natürlich immer. Wie diese hier: Die Erich-Kästner-Gesamtschule in Essen. Diese Lesungen sind immer ein kleines Schulevent und werden liebevoll vorbereitet. Der Stufenleiter Artur Nickel organisiert diese Veranstaltung seit vielen Jahren für die sechsten Jahrgangsstufen, und oft lädt er mich dazu ein. Diesmal waren auch die Autoren Franjo Terhart und Barbara Zoschke zu den Lesungen eingeladen.  
Die Lesungen finden immer im Klassenzimmer statt und man trifft nur auf eine Klasse – das macht das Leseerlebnis zu einem besonders intimen Moment und führt sicherlich auch dazu, dass die Schüler besonders interessiert sind und viele Fragen haben.
Ich bin immer begeistert von diesem Multi-Kulti des Ruhrgebiets. Als ich anfing, zu lesen, war es so still in der Klasse, dass ich etwas irritiert fragte: „Versteht ihr mich überhaupt? Rede ich zu schnell?“ Ich meine … zwanzig Kinder, von denen die meisten sowas von überhaupt nicht „typisch deutsch“ aussehen … da ist doch so eine Frage berechtigt, oder? War sie aber nicht. „Klar“, meinten sie und winkten ab. „Lesen Sie weiter!“ Und dann merkte ich, sie waren einfach nur so still, weil sie es so spannend fanden.



Dienstag, 19. November 2019

Freundschaft




„Ein Freund ist jemand, der alles von dir weiß, und dich trotzdem lieb hat.“
Dieses Zitat liebe ich sehr. Freundschaften sind mir unglaublich wichtig. Vor allem, wenn man, wie ich, in einer sehr männerdominierenden Familie lebt, sind gute Freundinnen unerlässlich.
Die Freundschaften, die ich pflege, haben oft eine lange Geschichte und tiefe Wurzeln. Selbst wenn wir uns eine Zeitlang nicht gesehen haben, ist die Vertrautheit auf der Stelle wieder da. Bei diesen Treffen finden all die Klassiker statt, die man aus diesen typischen Frauenfilmen kennt: Lange Spaziergänge durch Täler und Wälder, die schnelle Abendrunde um den Pudding, der gute Rotwein auf dem Sofa, das Essen beim Lieblingsitaliener und diese typischen Klischee-Fraueneinkäufe: Zwei Umkleidekabinen nebeneinander, kritische Blicke, Kopfschütten oder Begeisterungsschreie und zuletzt gut gefüllte Einkaufstüten. 

Dienstag, 12. November 2019

Gespräch am Abend

Ich: Weißt du, was mir heute passiert ist?
Er: …
Ich: Wir haben doch gestern über Bitcoins geredet …
Er: …
Ich: Und in dieser Nacht habe ich eine Werbemail über Bitcoins gekriegt.
Er: …
Ich: Findest du das nicht komisch?
Er: Nö.
Ich: Meinst du, mein Handy hört mich ab?
Er: Klar.
Ich: Wieso sagst du das? Ist dir so was auch schon mal passiert?
Er: Nö. Ich rede ja nicht so viel.
Ich: …


Samstag, 9. November 2019

30 Jahre Mauerfall



Wie haben Sie den Fall der Mauer erlebt? Diese Frage wird im Moment oft in den Medien gestellt. Zeitzeugen erinnern sich in Ausstellungen und Talkshows.
Ich komme als Zeitzeuge nicht in Frage. Den Mauerfall erlebte ich zwischen Bügelwäsche und Windelbergen vor dem Fernseher, blickte fassungslos auf Momente, in denen sich Menschen die Hände durch den Stacheldraht reichten oder auf der Mauer tanzten. Es war für alle ein unglaublicher schwindelerregender Moment.
Persönlich war ich gerade in einer völlig anderen Phase. Meine Mutter war ein halbes Jahr vorher plötzlich und unerwartet gestorben, und sie fehlte mir so. Unser drittes Kind war geboren, war sehr krank und musste mehrfach operiert werden. Mein Tag war voller Sorgen und übervoll mit Arbeit. Diese großen Gefühle nach Freiheit und Freude in Ost und West standen im großen Kontrast zu meiner persönlichen Befindlichkeit. Meine Welt war klein geworden, beschränkte sich auf das Haus, die Schule und den Wohnort.
So wurde auch für mich dieser Moment der Grenzöffnung erst viel später persönlich bedeutsam.
Mittlerweile pendele ich seit einigen Jahren regelmäßig zwischen West und Ost hin und her. Immer aber wird in Helmstedt die Grenze bewusst,  die unser Land so lange Zeit in zwei Teile teilte.   

Dienstag, 5. November 2019

Goldene Konfirmation



„Goldene Konfirmation? Da würde ich ja niemals hingehen. Ich kann mich überhaupt nicht an meine Konfirmation erinnern. Geschweige denn daran, wer in meiner Gruppe war“, so ein Freund.
Mir geht es anders. Ich kann mich noch gut an den Tag erinnern, an dem ich konfirmiert wurde. Es war der 4. Mai 1969, ein sonniger Frühlingstag, an dem wir alle ziemlich in unseren schwarzen Kleidern und Anzügen schwitzten – und nicht nur, weil die Sonne schien.
Jaja, damals wurde man noch in Schwarz konfirmiert, und wenn ich mir das Foto anschaue, das vor unserer Kirche gemacht wurde, sehen wir alle ein bisschen aus wie unsere eigenen Mütter und Väter.
Nun liegt die Einladung zur Goldenen Konfirmation vor, und ich weiß sofort, dass ich dahin möchte, nach Minden in die Petrikirche, um das Fest zu feiern, die anderen wieder zu sehen, aber auch, um mal wieder in einem Gottesdienst zu sitzen.


Jetzt ist es November, 50 Jahre später, aber auch dieser Tag ist sonnig und mild. Von unserer damals neunzehnköpfigen Gruppe haben sich sieben eingefunden. Auch der Pastor, der uns damals konfirmierte, hat es sich nicht nehmen lassen, uns an diesem Tag mit seinem Segen zu begleiten.
Die Kirche hat sich von einem düsteren Gotteshaus in einen hellen gemütlichen Vortragsraum verwandelt. Nur der Gottesdienstablauf ist unverändert – mit Orgel, Gebeten, viel Singen und einer guten Predigt. Meine Familie gehörte der evangelisch reformierten Gemeinde an, eine Abspaltung der Evangelischen Kirche, die sich ungefähr vom Evangelischen so verhält, wie Nussschololade zu Mandel-Vollmilch-Schokolade, für den einen ein großer Unterschied, für den anderen egal - Hauptsache Schokolade. Aber diese Gemeinde ist durch das Reformiert-Sein eine Besonderheit in Minden. Sie ist recht klein und hat einen großen Einzugsbereich. Das machte es vielleicht aus, dass man besonders zusammen hält. Viele meiner Mitkonfirmanden haben mich jedenfalls ein längeres Stück meines Lebens begleitet.
So ist auch das Wiedersehen ein bisschen wie ein Klassentreffen. Wir freuen uns, einander wieder zu sehen, erinnern uns an alte Zeiten, tauschen gute Gedanken aus und sind uns so vertraut, wie es Menschen sind, die eine gemeinsame Lebensgeschichte teilen.  
Ich genieße den Tag und nehme mir vor, viel häufiger mal wieder nach Minden zu fahren, endlich mal wieder einen Gottesdienst zu besuchen und vielleicht mal wieder in einem Chor zu singen.
Danke an alle, die dieses Treffen ermöglicht haben!



Samstag, 2. November 2019

Die Droste


In Paderborn im Stadtmuseum gibt es schon seit einiger Zeit eine Sonderausstellung über Annette von Droste-Hülshoff, die ich schon längst mal besuchen wollte. 
Mit Annette habe ich mich immer verbunden gefühlt, allein durch den Vornamen. Aber sie kommt eben auch aus Westfalen und ist viel durch das Paderborner Land gereist, um ihre ganze große Sippe zu besuchen. Viele Gründe also, um endlich mal mehr über die Frau kennen zu lernen, von der ich die Judenbuche und den Knaben im Moor in der Schule gelesen hatte.
Immer wenn ich mal wieder in einem Museum bin, bin ich begeistert, wie interaktiv und spannend die geworden sind. Man erlebt echte Events.
Auch diese Ausstellung war wunderbar aufbereitet. Man wurde angehalten, Zitate zu suchen und zu sammeln, man hatte die Möglichkeit, sich Gedichte vorlesen zu lassen und man konnte die Landschaften begehen, durch die sie gereist war. Zwischendurch gab es ungewöhnliche Exponate wie diese Textseite, mit einer klitzekleinen Handschrift geschrieben, damit Papier gespart wurde.

„Die Zeit läuft so schnell und immer Confuser – daran sind die Eisenbahnen Schuld – man kommt auseinander, leiblich und geistig. – Gottlob, daß das Hangen an Erinnerungen mit den Jahren zunimmt, sonst müßte es eine schreckliche Zerfahrenheit geben.“
Danke, Annette. Das hätte ich auch nicht besser ausdrücken können! Du wusstest allerdings damals noch nicht, dass das Auto für noch größere Zerfahrenheit sorgen kann. Und das Flugzeug erst…