
Sie sitzen einander gegenüber an
einem Zweiertisch des Restaurants: Er die grauen Haare ein bisschen schludrig zu
einem Zopf zusammengebunden, sie fein zurechtgemacht mit Bluse und Rock und
kleinen Kreolen im Ohr. Während sie immer mal wieder irritiert zu ihm
hinüberlächelt, blickt er die ganze Zeit auf sein Smartphone, scrollt sich
durch die Seiten, schreibt mit beiden Daumen. Manchmal sagt sie etwas, und er antwortet, den Blick unverwandt auf das Display gerichtet.
„Das wird sich aber doch ändern, wenn das Essen kommt“, versuche ich, eine
Erklärung zu finden. „Vielleicht hat er etwas Wichtiges zu erledigen.
Ausgerechnet jetzt.“
Das scheint sie auch zu denken, denn sie lächelt nachsichtig.
Dann kommt das Essen, und es sieht toll aus, total lecker und so dekorativ
zurechtgemacht. Sie wünscht guten Appetit. Und dann essen sie, sie mit Blick
auf das Essen, er mit Blick auf das Display. Jetzt schreibt er nicht mehr, er
liest.
Wenn sie jetzt ginge, denke ich, wäre das eine große Chance für Veränderung.
Sie müsste nur ihre Tasche nehmen, schweigend vielleicht, vielleicht auch mit einer kleinen
Notlüge, um ihn nicht zu beunruhigen. Dass sie nicht zurückkommt, würde ihm erst auffallen, wenn er sein Essen längst fertig gegessen hat, wenn er
vielleicht ein weiteres Bier bestellen möchte oder um die Rechnung bittet. Dann
würde er sich vielleicht fragen, ob da nicht jemand gesessen hätte. Und wo der
wäre? Und ob dem etwas passiert wäre.
Und wenn sie ihn nicht beunruhigen wollte, könnte sie ihm einfach eine
Whats-App schreiben. „Bin noch schön essen gegangen. Dir noch einen schönen
Abend.“
Vielleicht wäre er dann erleichtert.
Vielleicht auch nicht. Auf alle Fälle würde er beim nächsten Essengehen – mit wem
auch immer – gelernt haben, das Smartphone in der Tasche zu lassen.