Donnerstag, 6. November 2014

Als die Mauer fiel


Habt ihr gestern auch den Film „Bornholmer Straße“ gesehen? Mir waren die Überzeichnungen zu viel. Ich mag das nicht, wenn solche berührenden Momente Comedyartig dargestellt werden. Die Echtaufnahmen in der anschließenden Reportage gingen allerdings voll unter die Haut.
Und so erinnerten wir uns auch wieder an den Tag, als die Mauer fiel.

Mein Mann kommt aus Goslar. Wenn wir seine Eltern besuchten, fuhren wir manchmal bis an die innerdeutsche Grenze und schauten nach drüben. Die Grenze verlief irgendwo hinter einem kleinen Dorf zwischen Bad Harzburg und Wernigerode. Ein kleines Bächlein in einem Waldgebiet teilte Deutschland in zwei Teile. Dahinter kam ein Wachturm, dann ein Streifen Niemandsland und dann sah man den meterhohen Stacheldraht.
Als wir an einem schönen Sommertag wieder hier waren, sah man die Grenzbeamten der DDR nicht wie sonst auf dem Wachturm stehen. Sie lagen auf dem Waldboden in der Sonne direkt vor uns. Durch ihre Tarnuniform erkannte man sie erst auf den 2. Blick. Ich ging ganz dicht an das Bächlein heran, versicherte mich noch bei den anderen Ausflüglern, wie weit ich gehen darf („Sie dürfen bis an das Bächlein!“) und dann standen wir uns Aug in Auge gegenüber, die Grenzbeamten und ich. Das war ein unheimliches Gefühl. Mein Herz klopfte, und auch sie sahen irgendwie verunsichert aus. 

Am Tag, als die Mauer fiel, war ich in einer ganz anderen Lebenssituation. Benny, unser drittes Kind war geboren, und mein Leben war so eng und verplant, dass ich es gerade mit drei Kindern zum Spielplatz oder zum Bäcker schaffte.
Schon wochenlang dauerten die Unruhen an. Immer mehr Menschen flohen über Ungarn in den Westen. 
„Eigentlich könnten sie doch jetzt auch die Grenze aufmachen“, sagten wir. Und doch schien uns dieser Gedanke unglaublich.

Als die Unruhen weiter gingen, die Rufe „Wir sind das Volk“ unüberhörbar wurden, hatte ich meinen Arbeitsplatz ins Wohnzimmer verlagert. Wann immer es mir möglich war, schaute ich fern.
Am Abend des 9. November stand ich im Wohnzimmer und bügelte. Benny war auf dem Sofa eingeschlafen. Irgendwann war die Bügelwäsche erledigt. Ich trug Benny in sein Bettchen, rannte ins Wohnzimmer zurück und dann schauten mein Mann und ich uns den ganzen Abend lang die Berichterstattungen an. Es war so unglaublich, was hier passierte, dass wir nur noch auf dem Sofa verharrten und auf den Bildschirm starrten. Irgendwann ging ich ins Bett.
Am nächsten Tag war die DDR Geschichte.

An den folgenden Tagen war es so schwer für mich, das Geschehen nur vor dem  Fernseher verfolgen zu können. Die Partys auf der Brücke und auf der Mauer, Hände, die sich durch die Mauer berührten, es war alles so herzzerreißend. Und ich hatte keine Möglichkeit, dabei zu sein. Das Muttersein ist eine ganz schöne Herausforderung.

Es dauerte ein paar Tage, bis mir der erste Trabbi begegnete. Dann erst konnte ich allmählich fassen, was geschehen war.  

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