Dienstag, 27. Januar 2015

Bewegende Lesung


Einen Tag bevor ich mich auf den Weg zu einer Lesung nach Bielefeld mache, ruft die Lehrerin an. Ihre Stimme ist belegt. Es gibt eine traurige Nachricht. Ein Schüler ihrer Schule ist am Wochenende tödlich verunglückt. Die Schüler werden sehr traurig sein. Die Schule ist klein. Jeder kennt hier jeden. Und er war einer von den netten, fröhlichen. Er war Schülersprecher – Mitglied in der Schulband, die doch auch zur Lesung spielen wollte.
Ich bin berührt. Vor diesem Hintergrund eine Lesung zu gestalten, fällt mir schwer. Doch die Lehrerin bittet mich, trotzdem zu kommen. Sie wollen die ersten Stunden nutzen, um über ihn zu sprechen, seiner zu gedenken. Aber dann tut es vielen Schülern gut, erst mal wieder den Alltag einkehren zu lassen. Die Schüler freuen sich doch auch so auf mich.


Also fahre ich. Die Schüler empfangen mich mit einem liebevoll gedeckten Tisch zum Frühstück. Wir reden miteinander. Über das Schreiben, über meine Bücher, über sie und mich – und dann auch über ihn. Wie es gekommen ist, dass er sterben musste. Und wie das Leben jetzt wohl für die weiter gehen kann, die ihm besonders nahe waren.



Die Lesung findet nun in einem großen Gruppenraum statt, und nicht, wie geplant, in der Aula – denn die Schülerband will ohne ihn nicht spielen. Die Schulleiterin begrüßt die Schüler, redet noch einmal über den schrecklichen Unfall – kündigt mich schließlich an.
„Das Schwierige ist, dass ich noch nicht mal einen besinnlichen Text habe“, sagte ich. „Meine Geschichten sind eher spannend – und ein bisschen schräg.“
„Das passt“, sagt sie. „Er hätte es geliebt.“
Und so lese ich für die Oberstufe der Bielefelder Hamfeldschule, für die Schüler und Lehrer – und ein bisschen auch für ihn.



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