Montag, 31. Oktober 2011

Verlogenheit


Nach vielen Jahren Funkstille treffen wir plötzlich aufeinander. Erkennen einander sofort. 
Wir zögern bei der Begrüßung. Umarmen uns schließlich. 
Eine Umarmung ist auch eine Form der Kontaktvermeidung. Man muss sich nicht in die Augen schauen.
"Wie geht es dir?", fragte ich.
Er hat in der Zwischenzeit seinen Betrieb verkauft. Hat dann noch versucht, Filialleiter zu bleiben. Doch man hat ihn weggemobbt. Bis er schließlich gegangen ist.
"Das hat mir so weh getan", sagt er.
Kummervolles Gesicht - große traurige Augen.
Er versteht die Psyche der Menschen. Diese verbalen persönlichen Betroffenheitsbekundungen. Diese Ich-Botschaften. Dieses Selbstmitleid. Alle Achtung! Das ist großes Theater.
Geschieht dir recht, denke ich schadenfroh.
"Tut mir leid", sagte ich höflich.
Warum mache ich das? Warum sage ich nicht: "Da siehst du mal, was andere bei dir durchgemacht haben."
Bin ich zu feige? Bin ich konfliktscheu?
Vielleicht.
Andererseits wird er es nicht verstehen wollen. Wird es abstreiten. Dann mit mir streiten, mich beleidigen und zurückschlagen.
Warum soll ich mir von ihm den schönen Tag verderben lassen? Ich bin nicht auf der Welt, ihn zu erziehen. Ich muss mit meinen Kräften haushalten.
"Schönen Tag noch", sage ich.
Du kannst mich mal, denke ich.
Und er denkt es garantiert auch.

(Foto: Potsdam)

3 Kommentare:

  1. Gefällt mir !!!!
    Genau diese Situation kann ich im Moment sehr gut nachvollziehen.
    Es geht um das "lieber nichts sagen".
    Meine Gedanken kreisen wie verrückt, nichts sagen und daran ersticken, oder....? In meinem Fall könnte eine Freundschaft drauf gehen.
    Das Zusammenleben ist schon manchmal schwierig.
    LG

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  2. Danke. Freut mich, dass du das kennst.
    Wenn eine Freundschaft davon abhängt, sollte man besser klärende Worte sagen, oder?
    Gruß Annette

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  3. Der Kerl hat für dein Leben vermutlich keine Bedeutung (mehr?). Also warum dich in dem kurzen Augenblick mit der Wahrheit verausgaben???

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