Freitag, 14. Juni 2013

Gerade an der Käsetheke




Ein junger Mann bedient, kindliches Gesicht, freundliches Lächeln, Azubi wahrscheinlich. Vor mir eine ältere Frau.
„Und dann nehm ich noch von dem Gauda.“
„Ja, wie viel möchten Sie denn?“
„Nicht so viel. Ich geh doch Montag in die Reha.“
„Aha.“
„Weil die doch Mist gemacht haben, wissen Se.“
„Ah.“
„Die haben doch den Nagel drin gelassen. Und dann hat sich alles entzündet. Und dann musste ich…“
Die Schlange wird länger. Alle sehen genervt aus. Scharren mit den Füßen. Hat die keinen anderen, dem sie das erzählen kann? Ausgerechnet hier an der Käsetheke.
Nee, hat sie nicht. Und merken tut sie auch nichts. Jetzt stehen wir schon zu viert hinter ihr.
„… wieder ins Krankenhaus. Die ganze Sache noch mal, verstehen Sie?“
„Oh.“
Der junge Mann schaut ein wenig verlegen zu uns hinüber. Er hat ein schlechtes Gewissen, weil er uns warten lässt. Aber er mag sie auch nicht unterbrechen.
Jetzt läuft sie zu voller Form auf. Stellt die Tasche ab. Holt tief Luft.
Auch ich hole tief Luft. Da ist sie wieder mal, die tägliche Herausforderung. Einkaufen ist eine echte Geduldsübung.
Eine andere Verkäuferin ist wachsam. Sie sprintet in die Käseabteilung und übernimmt mich.
Die Alte beugt sich weiter vor. Ihre Stimme ist jetzt leiser.
„Jetzt muss ich in die Reha und alles erst mal ausheilen. Aber ich hab schon ein bisschen Angst, verstehen Sie.“ Sie sieht nun wirklich ängstlich aus.
„Verstehe ich“, sagt der junge Mann.  
Jetzt bin ich doch froh, nicht gedrängelt zu haben. Wie lieb, dass der junge Mann so freundlich zugehört hat. Von seiner Geduld kann ich mir wirklich eine Scheibe abschneiden. Und wenn ich mal in die Reha muss, gehe ich garantiert bei ihm meinen Käse kaufen. 

(Foto: Provence)

1 Kommentar:

  1. Liebe Annette, das ist wirklich rührend. Und auch beschämend, wenn man sich bewusst macht, wie rücksichtslos man aus (vermeintlicher) Eile manchmal mit anderen umgeht.
    Hier bei uns auf dem Land ist das tatsächlich noch ein bisschen anders. (Und das soll jetzt kein Klischee bedienen.) Weil hier jeder jeden kennt, wird es auch an der Käsetheke schon mal persönlich.
    Danke für dieses schöne Erlebnis!

    Nikola

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