Sonntag, 2. Dezember 2012

Weihnachtsmarkttourismus




Ich sitze im Zug nach Hannover zur Teamsitzung für unser Schulbuch, breite mich auf dem Vierersitz aus und lese noch mal die letzten Entwürfe. Der Zug hält an einem kleinen Ort, und zufällig schaue ich aus dem Fenster. Da trifft mich fast der Schlag. Der kleine verschlafene Bahnhof ist voller Menschen. Ich kann noch schnell die Fotokopien in die Tasche stopfen, dann drängen alle auch schon in das Abteil. Vorbei die Zeit des Lesens und aus dem Fenster Schauens. Menschen lachen, Sektflaschen werden geköpft. Weihnachtsmarkttourismus.
Sie seien auf dem Weg zum Weihnachtsmarkt nach Bremen, erklärt mir der Typ neben mir, zieht ein Fläschchen Underberg aus der Tasche und bietet mir auch eins an. Ich muss geguckt haben, als hätte ich eine Fata Morgana. Underberg! Daran habe ich eine schreckliche Erinnerung.
Als Kind war mir mal bei einem Familienausflug auf einer Autofahrt schlecht geworden. Mein Vater hielt, schleppte mich in ein Lokal und ließ mich einen Underberg trinken. Damals wussten Eltern noch nichts von Komasaufen und schädlichem Einfluss auf die Kindheit.
Der Schnaps brannte in meiner Kehle und nahm mir den Atem. Seitdem ist Underberg für mich zum schweren Kindheitstrauma geworden.
Ich winkte darum das Angebot höflich ab. Der Typ war so nett, die Flaschen wieder in die Tasche zu stecken. Vielleicht wäre mir nämlich schlecht geworden, wenn er eine getrunken hätte.
Auf der Rückfahrt waren all die lustigen Weihnachts-markttouristen wieder da. Die einen kamen aus Bremen, die anderen aus Hamburg zurück, wieder andere waren in Hannover gewesen. Die Bahn roch nach Glühwein, Schnaps und Bier. Viele waren betrunken. Aber das war im Grunde kein Problem. Wir standen nämlich so dicht, dass niemand umfallen konnte.  

(Foto: Weihnachtsengel aus Eierkarton - von meinem Patenkind gebastelt)

1 Kommentar:

  1. Liebe Annette,
    wir hatten auch mal kurz die Idee zu so einem "Ausflug". Nach näherem Überlegen kam ich aber zu dem Schluss, davon lieber Abstand zu nehmen. Mir war schon klar, dass wir nicht die Einzigen sind, die so was vorheban. Auf solche "Massenveranstaltungen" habe ich keine Lust. Ich gehe gerne auf Weihnachtsmärkte, aber lieber dann, wenn es nicht so voll ist.
    Ich wünsche Dir noch einen geruhsamen Sonntag.
    LG
    Heidi

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