Gestern gab es im Theater Paderborn unter dem
Titel „Wenn die Glocken läuten, regnet es nicht“ ein Portrait
verschiedener in Paderborn lebender Frauen. Es wurde szenenartig dargestellt und mit Fotos
und Musik vertieft.
Erinnerungen meiner türkischen Freundin Sabiha
waren dabei, und so beschlossen wir, uns das Stück gemeinsam anzuschauen.
Sabiha lebte als Kind mit ihrer Familie in
einem kleinen Dorf in der Türkei. Ihr Vater verließ die Familie, als sie vier Jahre
alt war, um in Deutschland zu arbeiten. Er zog nach Augsburg und blieb dort
vierzehn Jahre lang. Nur zur Urlaubszeit kehrte er nach Hause zurück. Ansonsten
versorgte er die Familie mit Geld, Geschenken und Fotos.
Ein Foto war Sabiha besonders präsent, es war
so lebensfroh und auch so fremd. Ihr Vater stand eingerahmt von blonden Frauen,
die ein tief ausgeschnittenes Dirndl trugen, und strahlte in die Kamera. Solche
Kleider, wie diese Frauen trugen, hatte Sabiha noch niemals gesehen, und sie prägte
sich jede Einzelheit ein. Von da an machte sie sich auf die Suche, schaute auf
jedem Bazar und in jedem Geschäft, aber sie fand nichts, das diesen Kleidern
ähnlich war. Hin und wieder kaufte sie sich Rüschenblusen, und versuchte auf
diese Weise, ihrem Vater nahe zu sein.
Nun lebt Sabiha seit 20 Jahren in
Deutschland, und vor kurzem hat sie sich ein ziemlich blumiges Kleid mit
Rüschen gekauft – so ein richtiges „Mädchenkleid“, wie sie sagte. Und ein
bisschen hatte es tatsächlich was von einem Dirndl. Da kamen diese Erinnerungen
wieder.
Wie stark, dass selbst solche "freien Entscheidungen" wie die Wahl eines Kleides von einem tiefer liegenden
Kindheitserlebnis geprägt sein können…
(Foto: Avignon)
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