Donnerstag, 3. Januar 2013

Wie kommt man zum Schreiben?




„Wie kamen Sie eigentlich zum Schreiben?“, fragen Schüler oft. Diese Frage macht mich immer etwas ratlos. Wie kommt man zum Schreiben? 
Bei uns Zuhause wurde natürlich geschrieben: Einkaufslisten zum Beispiel, oder auch mal einen Vortrag. Aber schon da werde ich nachdenklich. Denn wenn mein Vater einen Vortrag halten musste (was Gott sei Dank nicht oft vorkam), war das gleich ein Familiendrama, an das ich mich sogar heute noch lebhaft erinnere. Mein Vater war Mathe- und Physiklehrer, und so lag ihm das Reden und Schreiben nicht. Darum besprach er sich vorher lange mit meiner Mutter, hielt ihr den Vortrag in der Küche und sie verbesserte vieles. Er korrigierte seine Rede, hielt sie ihr noch einmal, übte sie dann lange im Wohnzimmer, indem er unruhig auf und ab wanderte. Wir Kinder litten ein bisschen mit ihm, machten uns aber auch über ihn lustig.
Meine Mutter, sicherlich wortgewandter als mein Vater, hielt nie eine Rede. Sie ließ stets anderen (vor allem ihrem wortgewaltigen Bruder) den Vortritt. So kann ich gar nicht sagen, ob sie es besser gemacht hätte.
Das Schreiben stand also in meinem Elternhaus nie im Mittelpunkt. Aber vielleicht war es gerade diese tägliche Dramatik, die mich zum Schreiben inspirierte. Die Tatsache, dass aus jeder Kleinigkeit ein großer Aufstand gemacht wurde, an dem wir alle teilhatten, machte den Alltag lebendig. Außenstehende empfanden das stets als anstrengend, aber ich kannte es nicht anders.  
Meine Mutter liebte es, die Dinge übertrieben darzustellen, mein Vater redete sie herunter, meine Schwestern und ich wurden zur Wahrheitsfindung heran gezogen. Schnell entwickelte sich ein Elefant aus einer Mücke.

Ich erinnere mich, dass ich einmal einen Schulaufsatz schreiben musste: Ein Streitgespräch. Das fiel mir leicht. Ich notierte einfach nur ein ganz normales Familiengespräch beim Mittagessen und las es einen Tag später in der Schule vor. Meine Klassenkameraden und meine Deutschlehrerin wischten sich vor Lachen die Tränen aus den Augen.
Als ich den Aufsatz einen Tag später zu Hause vorlas, wunderten sich alle über meinen Schulerfolg.
„Was soll denn daran witzig sein?“, fragte meine Schwester.
  

(Foto: Nagold)

1 Kommentar:

  1. Liebe Annette,
    ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, aber vielleicht war das auch zu einer Zeit, als wir noch nicht oder nicht mehr in einer Klasse waren. Ich kann mir das sehr lebhaft vorstellen. Es ist ja oft so, dass das was andere komisch finden für einen selbst überhaupt nicht witzig ist. Bei uns gingen "solche Probleme" nicht ums Schreiben sondern um Anschaffungen. Boa, wenn da mal was Größeres gekauft werden sollte, wie z. Bsp. ein Auto oder gar um eine Küche...da gab es Wochen und manchmal monatelang kein anderes Thema...
    Ich hätte gerne mal Mäuschen gespielt, damals bei Euch zu Hause....
    Liebe Grüße
    Heidi

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