Dienstag, 27. September 2016

Noch ein Abschied



Seit vier Tagen liegt er nun im Koma. Von Tag zu Tag wird es unwahrscheinlicher, dass er zurück ins Leben findet. Seit Gesicht ist schmal und eingefallen, die Nase spitz, der Atem geht gleichmäßig. Nur manchmal jammert er im Schlaf.
Er hatte ein langes Leben, ein gutes langes Leben. Nun muss auch er Abschied nehmen. Er, der so gerne gelebt hat. Das fällt ihm schwer. Und uns auch.
Aus allen Himmelsrichtungen kommen sie angereist. Kinder und Enkelkinder sitzen an seinem Bett, reden mit ihm, sagen Lebewohl.
Der Besuch führt uns alle zusammen. Es ist gut, dass wir uns haben.
Wir bummeln gemeinsam durch den kleinen Ort, ein Ort, der vor allem in Zusammenhang mit ihm dieser besondere Ort ist. Er erstrahlt diesmal besonders schön in dem warmen Herbstlicht.
In einem Bistro auf dem Marktplatz stärken wir uns bei einem guten Essen und reden über Gott und die Welt – und über ihn.  

Dienstag, 20. September 2016

Die Welt dreht sich



Mit zunehmendem Alter wird man immer müder, sich auf neue Dinge einzustellen, vor allem dann, wenn die alten Sachen voll in Ordnung waren. Ständig macht irgendeine App ein neues Update, und nervt damit so oft, dass ich es schließlich deinstalliere. Auch diese für mich lebenswichtigen Programme verändern sich immer wieder. Dabei waren sie doch total ausgefeilt, und es macht so unendlich viel Mühe, sich an einen neuen Arbeitsplatz zu gewöhnen.
Am ärgerlichsten aber finde ich im Moment, dass es mein Auto, so wie ich es liebe, nicht mehr gibt. Ich fahre diesen Rentnerhochsitz – diese kleine A-Klasse von Mercedes. Und okay, es gibt die eine oder andere Verbesserungsmöglichkeit. Aber ich bin noch nie ein Auto gefahren, das mir so gut gefallen hat. Jetzt gibt es sie nicht mehr. Die neue A-Klasse hat sich zu einem tiefergelegten Sportwagen verändert. Was soll ich denn damit?
Leider brauche ich bald ein neues Auto – die Kilometer, die ich im Jahr auf die Straße lege, verbrauchen Motor und Getriebe. Aber ich verzweifele an der Suche nach einem adäquaten Modell.
Warum dreht sich die Welt bloß immer schneller. Ich will ja nicht, dass sie stehen bleibt. Ich will ja nicht zurück zu Karteikarten und Brieftauben. Aber ein bisschen Rücksicht könnte sie auch mal auf mein Alter nehmen… 

Samstag, 17. September 2016

Ich in der NW


Manchmal kommt man völlig ohne Vorwarnung an ein Interview und ein Foto in allen möglichen Tageszeitungen, ohne dass man Zeit hatte, sich kurz überzukämmen, den Kajalstift noch mal aus der Tasche zu ziehen und sich ein paar kluge Sätze zurecht zu legen.
Ich bin auf der Tagung des Friedrich-Bödecker-Kreises in Hannover. Da ich eine lange Zeit im Stau stand, bin ich auf den letzten Drücker gekommen. Die Tagung startet mit meinem Eintreffen. Ich kann noch ein paar Bekannten zuwinken, dann geht es los, Begrüßungsrede an Begrüßungsrede. Ich bin verschwitzt, freue mich unbändig auf eine Flasche Wasser und dann auf einen starken Kaffee. Und natürlich auf das „Hallo, schön dich wieder zu sehen… du auch hier … Mann wir haben uns ja lange nicht gesehen…“
Endlich ist die letzte Rede geschwungen. Ich springe auf, um im Foyer nach einem Wasser zu fischen, da stellt sich mir ein Mann in den Weg.
„Ich würde gerne ein Interview mit Ihnen machen“, sagt er.
Ich bin mir ganz sicher, dass er sich vertan hat.
„Mit mir?“, frage ich. „Das muss ein Irrtum sein.“
Immerhin sind auf der Tagung viele hochkarätige Autoren.
Doch er ist sich ganz sicher. „Sie sind doch Annette Weber“, sagt er. Und das kann ich nicht abstreiten.
Wir einigen uns darauf, dass ich mir schnell ein Wasser hole. Dann stelle ich mich zu ihm.
Er heißt Joachim Göres und ist als freier Redakteur für verschiedene Zeitungen, u.a. die Neue Westfälische und die Taz tätig. Er hat viele ziemlich schwere Fragen, und es kostet mich Mühe, mich zu konzentrieren, zumal aus verschiedenen Ecken verschiedene Menschen ein Hallo herüber winken. Der Schweiß läuft mir den Rücken hinunter.
Dann muss ich auch noch für ein Foto zur Verfügung stehen – eins drinnen und ein draußen.
Irgendwie sieht man mir an, dass ich noch ziemlich fertig bin. Aber immerhin, ich strahle. Tat ja auch gut, mal gefragt zu werden.
Und wer sich den ganzen Artikel anschauen möchte, kann in hier nachlesen. 

Donnerstag, 15. September 2016

Lesung in Leopoldshöhe


Gestern war ich zu einer Lesung an die Grundschule Leopoldshöhe eingeladen. Diesen kleinen und hübschen Ort kenne ich noch aus meiner Referendarzeit, die ich in Bielefeld verbracht habe. Wir mussten von dort aus zu Supervisionen an verschiedene Schulen fahren, und da fiel der Ort Leopoldshöhe immer durch besonders kreative Schulen und supernette Schüler auf. Das Bild hat sich nicht verändert. 
Die Schüler waren bei meiner Lesung unglaublich aufmerksam, stellten kluge Fragen, schlugen sich vorbildlich durch meine Lesespiele … es hat total Spaß gemacht, dort zu sein.
Sowieso genieße ich es zwischendurch immer, mal wieder an der Grundschule zu sein. Dieser Ort ist mir immer so vertraut, dass ich schon einmal versehentlich nach einer Lesung ein Klassenbuch mitgenommen habe ; ))
Vielen Dank für die Einladung und liebe Grüße in den lippischen Westen. 

Mittwoch, 14. September 2016

Unterwegs


Ich stecke im Stau. Plötzlich blinkt alles um mich herum. Ich trete ebenfalls auf die Bremse und schalte das Warnlicht ein. Dann steht alles. LKWs vor und neben mir, hinter mir ein Mercedesfahrer, der wild telefoniert. Ich schaue die Staumeldungen auf meinem Smartphone durch. Doch sie enden an der deutschen Grenze. Wie es auf der A 4 in Polen aussieht, bleibt ein Geheimnis.
Es ist heiß. Ich stehe und warte. Eine halbe Stunde vergeht, dann noch eine. In der Zwischenzeit steige ich immer mal wieder aus und versuche, an den LKWs vorbei zu schauen. Die Schlange geht bis zum Horizont.
Der Fahrer hinter mir hat sein Telefon zur Seite gelegt. Jetzt steigt er aus.
„Sprechen Sie deutsch?“, frage ich ihn.
„Bisschen“, sagt er.
Er weiß leider auch nicht, was los ist. Aber er nimmt mich mit zu einem LKW-Fahrer. Der klettert auf die Autobahnböschung, kann aber auch nichts erkennen. Ein weiterer kommt dazu. Er will auch wissen, was los ist. Ein Autoradio hat er nicht, aber er kennt jemanden, der einen CB-Funk hat. Es geht also weiter zu dem. Alle beraten sich, der Mercedesfahrer übersetzt. Ein Unfall ist passiert. Nicht schlimm. Aber die Autobahn wird gerade vermessen. Es kann nicht mehr lange dauern.
Und dann geht es genauso schnell weiter, wie es gestockt hat. Wir springen in die Autos. Alle hupen und winken vergnügt. Netter Kontakt.
Ganz lustig, nicht immer und überall Netz zu haben. 

Sonntag, 11. September 2016

Deutschlehrertagung in Polen


Niwki ist ein kleines Dorf in Polen, nicht weit von Oppeln entfernt. Hier in diesem unspektakulären Ort zwischen Wäldern, Feldern und Höfen gibt es ein schönes Lehrerfortbildungszentrum, in dem viele interessante Seminare sattfinden. Da die deutsche Sprache als Minderheitensprache und als Fremdsprache in Niederschlesien eine große Bedeutung erfährt, gibt es zahlreiche engagierte Deutschlehrer in dieser Umgebung. Sie unterrichten in Kindergärten, Grundschulen und weiterführenden Schulen. 


Nun fand eine Lehrerfortbildung zum Thema Leseförderung statt, und das Goetheinstitut in Krakau lud mich dazu als Referentin ein. Für mich war das eine große Ehre. Ich war auch gerührt, dass sich so viele Lehrer freiwillig am Wochenende nach dem Schulstress im Institut einfanden, um sich weiter zu bilden. Als ich den Büchertisch mit meinen Materialien füllte, war ich selbst überrascht, wie viel ich zu diesem Thema schon geschrieben habe. Die Lehrer nahmen die vorgestellten Lektüren und Geschichten und die zahlreichen Arbeitsunterlagen mit großen Interesse auf – besonders gut kamen die Lektüren in unterschiedlichen Lesestufen an.
Außerdem gab es aber auch ein tolles Verwöhnprogramm: ein leckeres Essen rund um die Uhr, schöne Seminarräume, tolle Zimmer und ein netter Grillabend. Ich werde wiederkommen, das habe ich schon ganz fest zugesagt.




Sonntag, 4. September 2016

Friedrich-Bödecker-Tagung in Hannover


Heute melde ich mich aus dem schicken Hannover. Ich mag diese lebendige Stadt immer sehr. Sie wirkt so bunt mit ihren Straßenbahnen und Radfahrern und den vielen Kunstwerken und dann diesem wahnsinnig fetten schicken Rathaus, das sich auch noch das „Neue Rathaus“ nennt, weil es noch ein viel älteres gibt.
Schon seit vielen Jahren bin ich Mitglied im Friedrich-Bödecker-Kreis. Es ist ein Verein, der sich für die Lesungen von Autoren an Schulen einsetzt und sie vermittelt. Alle zwei Jahre lädt der Kreis zu einer Tagung nach Hannover ein, und dann trifft man viele Autoren wieder, denen man hier und da auf Lesereisen begegnet ist. 


Außerdem gibt es interessante Vorträge und Arbeitsgruppen über Leseprojekte und Förderungen.
Ich brauche erst immer eine kleine Anlaufphase. So viele Menschen auf einen Schlag lassen mich zunächst ziemlich schüchtern werden. Aber dann treffe ich hier und da Bekannte, lerne neue Menschen kennen, und wenn es dann zum Ende geht, bin ich superfroh, wieder hingefahren zu sein.
Unbedingt erwähnenswert sind immer die tollen Feiern am Ende des Tages – und das leckere Essen.



Freitag, 2. September 2016

Vorschriften


Wenn ein Pferd gestorben ist, muss man den Tierkörper beseitigen lassen. Das ist ein schrecklicher Schritt. 
Ich rufe bei der entsprechenden Stelle an, um einen Termin zu vereinbaren.
„Legen Sie das tote Pferd an die Straße“, sagt eine sehr junge Frau am Telefon.
Ich falle fast vom Schreibtischstuhl. An die Straße? Sagt mal ehrlich, habt ihr schon mal ein totes Pferd an der Straße gesehen? Wer denkt sich denn so eine Verordnung aus?
„Das mache ich ganz bestimmt nicht“, sage ich. „Der Bauernhof liegt in einer Siedlung. Morgens ist hier viel Verkehr und viele Kinder gehen zur Schule. Da lege ich bestimmt kein totes Pferd an die Straße. Das Pferd liegt in der Scheune, direkt hinter dem Tor. Man kann es mit dem Kran greifen.“
Die Frau am Telefon ist verärgert. Schließlich notiert sie für den Fahrer: „Kundin zeigte sich uneinsichtig…“
Der Fahrer kommt rechtzeitig. Er ist knurrig. „Wenn ich das schon lese… uneinsichtig…“
Ich erkläre ihm, dass ich so etwas nicht übers Herz bringe, und zu meinem Erstaunen zeigt er sich verständnisvoll. Als ich ihm dann noch einen Zehner in die Hand drücke, gibt er sich echt Mühe.
Ich kann mir sogar alles mit anschauen, ohne zu weinen.
Danach verbringe ich noch eine Zeit am Stall, räume auf, verschenke einiges.
20 Jahre lang bestimmten die Pferde meinen Tagesrhythmus. Jetzt muss ich mich erst an die neue Freiheit gewöhnen.