
Nun bin ich als
Stadtschreiberin der Stadt Gotha nominiert. Das ist eine große Ehre. Da ich
noch nie zuvor irgendwo Stadtschreiberin war, bin ich dementsprechend unsicher
und aufgeregt. Ich telefoniere mit meinem Vorgänger. Er lässt mir alle
Informationen zukommen, die ich wissen will und muss. Beschreibt die Wohnung,
gibt wichtige Telefonnummern durch, nennt sogar die Termine für die Müllabfuhr
und erklärt, an welcher Stelle ich die Müllsäcke zu platzieren habe. Das alles
überfordert mich zwar ein wenig, aber ich weiß, wie wichtig genau diese
Kleinigkeiten oft sind.
Und da ist ja auch noch diese Kolumne, die ich für die Thüringer Zeitung
schreiben soll. Ehrlich gesagt habe ich noch nie eine Kolumne geschrieben.
„Was schreibt man denn da so?“, frage ich vorsichtig.
„Das kommt ganz darauf an“, sagt er. „Manche schreibe ja was über das Wetter.
Aber das fand ich persönlich etwas zu profan.“
„Was gibt es denn über das Wetter zu schreiben“, fragte ich nach.
„Naja, angeblich regnet es hier so oft“, sagt er.
Und tatsächlich fällt mir ein Wochenende in Gotha ein, in dem es wie aus Eimern
geschüttet hatte. Aber wenn das Thema Wetter durch ist, muss ich darüber ja nun
wirklich nicht berichten.
„Und was noch so?“, frage ich weiter.
„Der Bahnhof ist auch immer wieder Thema“, fährt mein Vorgänger fort.
„Was ist denn an dem Bahnhof besonderes?“, will ich wissen.
„Naja, die meisten finden ihn ziemlich trostlos“, erklärt mein Vorgänger.
Und tatsächlich fällt auch mir sofort eine Situation ein, in der ich zwei
geschlagene Stunden auf dem Gothaer Bahnhof gestanden und gefroren habe. Aber
da erschien er mir nicht trostloser, als jeder andere Bahnhof der Welt, das lag
nämlich vor allem daran, dass Winter war und die Bahn zwei Stunden Verspätung
hatte.
Insgesamt aber habe ich das Gefühl, wenn man die 10. Stadtschreiberin ist, sind
die besten Themen schon dran gewesen.
Bei der Urkundenübergabe im schönen Rathaussaal wird mir bewusst, wie viele tiefe
und eindrucksvolle Spuren mein Vorgänger hinterlassen hat. Da muss ich mir
meine Boots fest schnüren, um in die Fußstapfen zu treten.


Aber ich habe gute Vorsätze. Die Bedingungen machen es mir leicht. Die Wohnung
ist total schön, die Altstadt, die sich freundlicher Weise um die Wohnung herum
gruppiert hat, ist es ebenfalls. Diese Stadt und diese Wohnung werden mir nun
ein Jahr lang eine Heimat auf Zeit sein. Das habe ich genauso gewollt und
geplant. Trotzdem ist es eine ungewohnte Situation. Ich bin in meinem Leben
schon einige Male umgezogen, mal mit meinen Eltern, dann allein, später mit der
eigenen Familie. Ein Neuanfang in einer unbekannten Stadt ist mir nicht fremd.
Trotzdem wird es hier anders sein, weil mir auch bewusst ist, dass die Zeit in
Gotha begrenzt ist. Werde ich mich dann so auf den Ort einlassen, wie ich es in
den anderen Heimaten auch gemacht habe? Ich betrachte die Menschen, die mir in
der Fußgängerzone entgegen kommen. Viele erwidern meinen Blick – freundlich.
„Entschuldigung, geht es hier zur Bibliothek?“, frage ich einen Passanten.
„No“, erwidert er.
Und jetzt bin ich mir doch ein bisschen unsicher, ob das ja oder nein heißen
soll.
