Samstag, 30. April 2016

Siehste!


Er macht einen freundlichen und leicht angestrengten Eindruck auf mich, der ältere Herr an der Kasse hinter mir. Außerdem hat er nur drei Teile.
„Wollen Sie vor?“, frage ich, obwohl ich es eilig habe.
Er nimmt dankend an. 24,80 muss er bezahlen. Doch nun greift er zu meinem Entsetzen zu seiner Masterkarte und steckt sie in das Kartenlesegerät.
„Bestätigen und die Geheimzahl eintippen“, sagt die Kassiererin.
„Ich mach das zum ersten Mal“, sagt er – und dafür hätte ich ihn erwürgen können. „Wo muss ich wohl…“
Sie zeigt ihm die Okay-Taste.
„Und nun noch die Geheimzahl.“
Er macht ein wichtiges Gesicht und tippt. Die Kassiererin schaut auf das Lesegerät.
„Die Zahl erkennt er nicht“, sagt sie.
„Was?“ Der Mann ist empört. Er versucht es noch einmal – gaaaaanz langsam und mit Nachdruck. Wieder nichts.
„Können Sie nicht bar bezahlen?“, frage ich ungeduldig.
„Natürlich kann ich“, regt er sich auf. Er ist ein vornehmer Mann, und natürlich ist er liquide … Was ich wohl wieder denke!
Er kramt im Portmonee. Ich scharre mit den Füßen.
Jetzt kommt seine Frau dazu. Sie wirft mir einen giftigen Blick zu.
„Aber er kann das mit der Karte!“, keift sie mich an. „Los, Heinrich. Mach!“
Er versucht es ein drittes Mal. Noch langsamer und mit dem Blick seiner Frau im Nacken – Kanzlerinnen-Blick mit Wir-schaffen-das-Tenor.
Pling, macht es, und seine Karte ist gesperrt.
Ich verkneife mir höflich ein „Siehste! Hättste ma!“

Freitag, 29. April 2016

Lesung in Düren


Es ist die erste Lesung nach dieser langen, krankheitsbedingten Pause, und ich habe mir vorgenommen, es langsam angehen zu lassen. Die Fahrt ist weit und verkehrsmäßig nicht ohne. Die A 1 entlang, an Köln und Wuppertal vorbei bedeutet immer Stau, erst recht jetzt, wo der öffentliche Nahverkehr bestreikt wird. Ich beschließe, schon einen Tag vorher zu fahren und suche mir in einem kleinen Eifeldörfchen ein Hotel. Von da aus liegt die Schule fast um die Ecke.

Die Hauptschule Gürzenich soll im Sommer geschlossen werden. Man spürt es, als man die Schule betritt. Der untere Flur ist schon leer, im oberen aber wird es lebendiger.
Die wenigen Lehrer, die noch tapfer durchhalten, sind auf meinen Besuch vorbereitet. Es ist Zeit für einen Kaffee und nette Gespräche.
Dann warten die beiden Neuner-Klassen auf mich. Sie haben schon mehrere Bücher von mir gelesen. In diesem Schuljahr haben sie sich mit Buch „Keine Chance, wer geht denn schon mit Türken“, beschäftigt, und weil das Buch nur noch online auf dem Markt ist, hat der Lehrer es für alle Schüler kopiert.
Wir beginnen mit einer langen Fragerunde, die fast eine Stunde dauert. Die Schüler sind konzentriert und aufmerksam, auch bei der nachfolgenden Lesung. Es ist richtig richtig entspannend und nett.
Zuletzt bekomme ich noch einen weißen Lavendel geschenkt – er begleitet mich auf der gesamten Rückfahrt mit seinem Duft.
Herzlichen Dank an Herrn Erken für die liebe Einladung. 


Montag, 25. April 2016

Alt


Kreischend rutscht er eine steile Rutsche in die Tiefe. Und gleich noch mal.
„Omi rutsch doch auch mal“, ruft er.
„Oh nee“, sage ich. „Dazu bin ich zu alt.“
Die Ausrede gefällt ihm. Sie ist so klar. So einfach. So konsequent.
Einige Tage später versucht er sie auch:
„Zähneputzen? Dazu bin ich zu alt.“ Oder auch: „So viel laufen? Meine Beine sind zu alt.“ Und er wundert sich, dass er nur schallendes Gelächter erntet.
Tage später entdeckt er den Trecker wieder, auf dem er vor einem Jahr pausenlos gefahren ist. Er nimmt ihn mit nach draußen und probiert ihn aus.
„Omi hat mich damit immer gezogen“, erzählt er einer Frau. „Früher“, fügt er hinzu. „Da war Omi noch nicht alt.“

Freitag, 22. April 2016

Die Betreuung danach



Kur, Reha, oder ins normale Leben zurück? Die Frage stellte sich uns immer wieder, als wir im Krankenhaus zur Bestrahlung vor den Umkleideräumen warteten. Die Brustkrebspatienten haben durch die Häufigkeit ihrer Krankheit eine große Lobby, und so erhielt man während der Krankheit eine große Unterstützung. Auch eine Reha oder eine Kur wurde ganz selbstverständlich angeboten.
Ich habe mich trotzdem gegen eine Reha/Kur entschieden. Sicherlich hätte meine Entscheidung anders ausgesehen, wenn ich von einer Chemotherapie betroffen gewesen wäre, doch in meinem Fall hatte ich das Gefühl, schnell von allein auf die Beine zu kommen. Zwei Gründe sprachen auf alle Fälle gegen eine Kur: Einmal hatte ich Angst, in der Kur mein Bewusstsein immer wieder auf die Krankheit zu lenken. Gespräche mit Mit-Betroffenen können manchmal auch belastend sein. Zum anderen hat man als Selbständiger leider auch nicht die Möglichkeit, sich für die Erholung viel Zeit zu lassen. Der Rubel rollt eben nur, wenn man auch arbeitet.
So bin ich also wieder aktiv. Geschrieben habe ich schon die ganze Zeit über. In der nächsten Woche geht es aber auch wieder auf Lesereisen. Das Unterwegssein habe ich wirklich ein bisschen vermisst. 

Montag, 18. April 2016

Vollmondnacht


In dieser langen schlaflosen Vollmondnacht griff ich irgendwann zu meinem Handy und suchte bei amazon nach einem neuen Buch. Das Ende des alten war abzusehen, und auf keinem Fall wollte ich mich in einer längeren Lesepause verlieren.
Ich las mich durch den Inhalt eines Buches, dann durch einen anderen, und plötzlich – wirbelwurbel – brach das Programm kurzzeitig ab, und dann folgte der Hinweis: Vielen Dank für Ihren Einkauf. Amazon hatte mir von meinem Geld ein Buch bestellt.
Nee, nee, so ja nun auch nicht, dachte ich verärgert. Mir war so etwas nämlich schon mal passiert, und in dem Fall hatte ich das Buch dann genommen, ohne mich dafür entschieden zu haben.  Dazu  wollte ich mich nicht noch einmal nötigen lassen.
Aber wie ihr euch denken könnt, war der Link: „Wie Sie den Einkauf rückgängig machen“ natürlich nicht so schnell zu finden, wie dieses wirbelwurbel – vielen Dank!
Zuletzt blieb mir nur der Gang an meinen Computer. Ich brauchte auch da lange, bis ich den Verkauf rückgängig machen konnte, aber wie gesagt, es war sowieso eine dieser schlaflosen Vollmondnächte. Und man kann sich ja nicht alles gefallen lassen! 

Montag, 11. April 2016

Noch fünf Mal


Seit heute kann ich meine Bestrahlungstermine an einer Hand abzählen. Es sind nur noch fünf. Nächsten Montag ist der letzte Tag *schnellaufholzklopf*. Man denkt in dem Fall ja immer:  Das kriegst du jetzt auch noch locker hin! - und natürlich will und werde ich es schaffen. Aber gerade dieses letzte Drittel zerrt doch ganz schön an den Nerven. Die Müdigkeit tagsüber wird größer, und parallel dazu die Schlaflosigkeit nachts auch. Dazu zeigt die Haut große rote Flächen, die ziemlich brennen. Das Schlimmste aber ist dieser übermächtige Wunsch, sich endlich diese blöden Klebestreifen vom Körper zu reißen und die Farbmarkierungen in einem meterhohen Schaumbad abzuschrubben. Aber ich lenke meine Gedanken schnell auf eine andere Stelle – wie gut, dass es das Schreiben gibt. 

Mittwoch, 6. April 2016

Steuererklärung


50 Milliarden Euro gehen dem Fiskus jährlich durch Steuerhinterziehung  verloren. Da verstehe ich, dass der Staat auf die ehrlichen kleinen Leute wie mich angewiesen ist. Und so sitze ich schon seit zwei Tagen Stund um Stunde an meiner Steuererklärung, tippe meine Honorare Posten für Posten in eine Exceltabelle und versehe die Rechnungen mit kleinen Nummern. Wenn mir eine Quittung fehlt, und sei es nur eine über 24,80 Euro, krame ich so lange in meinen Unterlagen,  bis auch sie auf dem Stapel der Quittungen eingeordnet ist. Denn ich ahne schon, dass das Finanzamt mich genau nach dieser Rechnung fragen wird.  Aber während ich da hektisch und genervt in meinen Unterlagen suche, überkommt mich doch so ganz heimlich die Idee, ob ich mir nicht auch mal einen Briefkasten in Panama zulegen sollte. Es sind ja jetzt einige frei geworden. Mein Mann meinte allerdings, da müsste ich mit dem Schreiben doch noch ein bisschen zulegen und endlich mal einen Jahrhundertbestseller schreiben.
Seufz.
Habt ihr euch eigentlich mal Gedanken gemacht,  was Gianni Infantino, Nico Rosberg, Lionell Messi, Sigmundur David Gunnlaugsson und Salman ibn Abd al-Asis gemeinsam haben, außer demselben Briefkasten in Panama? Sie sind reich, und es sind alles Männer. Wir Frauen sind einfach die besseren Menschen. Naja, mit wenigen Ausnahmen vielleicht.
Und darum mache ich mich jetzt auf die Suche nach der 24,80-Euro-Rechnung.


Samstag, 2. April 2016

Technisches Verständnis


"Mein Telefon geht nicht mehr", berichtet meine Tante Hanna ratlos. Sie hätte einen Brief bekommen, dass irgendwas mit ihrem Receiver umgestellt wird. Sie hat das nicht verstanden, hat dann aber beschlossen, sich einen ganz neuen Fernseher zu kaufen, mit eingebautem Receiver. Den alten hat sie dem Fernsehtechniker mitgegeben.
Dass Tante Hanna weiß, was ein Receiver ist, beeindruckt mich. Tante Hanna lebt glücklich und zufrieden zwischen Pflanzen und Büchern, nur die Nachrichten verfolgt sie am Fernsehen.
Das Telefon war immer schon da, damals, als es noch von der Post angebracht wurde.
„Brauche ich denn einen Receiver für mein Telefon?“, will sie wissen.
Aber so ganz genau weiß ich es auch nicht.
Sie zeigt mir einen Brief von Unity-Media, der zwei Seiten lang ist.
"Geben Sie ihre Log-in-Daten ein", steht darauf. Dann folgt ein Password und eine lange Nummer.
Dieser Brief in Tante Hannas Wohnzimmer erscheint mir so unpassend wie ein Weihnachtsmann mit Esel im Mediamarkt. Hier prallen zwei Welten aufeinander, die überhaupt keine Schnittstelle haben. Denn natürlich hat Tante Hanna kein Internet, sie bringt ja noch nicht mal einen CD-Recorder zum Laufen.
Mit meinem Handy versuche ich, bei Unity Media anzurufen. Nach einer Warteschleife ein Automat: „Was ist ihr Problem?“, fragt er mich. „Wollen Sie einen neuen Anschluss, wählen Sie die 1, haben Sie ein technisches Problem, wählen sie die 2…“
Ich entscheide für „Technisches Problem“ und wähle die 2.
„Geben Sie Ihre Personalnummer ein“, fordert der Automat. Ich finde die Nummer auf dem Brief und tippe sie in mein Handy.
„Um welches technische Problem handelt es sich?“, fragt mich der Automat. „Handelt es sich um ein Problem mit der Fritzbox, dann wählen sie die 1, haben Sie ein Problem mit der SD-Karte, wählen Sie die 2, haben Sie…“
Hilfe! Ich weiß ja selbst nicht, welches Problem ich habe. Denn wenn ich ehrlich bin, bin ich auch total hilflos, wenn das Telefon nicht funktioniert. Ich wüsste noch nicht mal, welchen Anbieter wir haben.
Tante Hanna winkt ab. Dann ist sie eben mal nicht erreichbar. Auch nicht schlimm. Und in den nächsten Tagen will sie ihren Großneffen fragen. Der kennt sich aus.
Nur mir wird plötzlich bewusst, wie hilflos ich selbst bin. Wenn man so viel Spezialwissen braucht, um Hilfe zu bekommen, sollte ich vielleicht mal damit anfangen, Brieftauben zu züchten. Das ist wahrscheinlich die einfachere Lösung...