Sie beobachtet mich, wie ich über
den Friedhof streife, nach dem Grab eines alten Freundes suchen, der irgendwo
in der Nähe des Hauptweges liegen soll. Dann fragt sie, ob sie helfen kann. Sie
kenne sich hier auf dem Friedhof gut aus, ist nahezu täglich hier. Ich nenne
ihr den Namen, und wir suchen eine Weile gemeinsam, finden es aber nicht. Stattdessen
landen wir vor den Gräbern ihrer Familie. Zwei schöne Gräber nebeneinander. Auf
dem Grab an der linken Seite liegt ihr Mann, wie ich erfahre. Ein schönes Grab,
schwarze glänzende Marmorplatte mit weißen Blumen aus Stein, zu Rosen geformt. Dazu
frische Blumen in bunten Gestecken. Rechts davon ein Kindergrab mit dem Foto eines
kleinen Mädchens, dazu bunte Kugeln, viele Blumen, Kerzen, Kleinigkeiten die
darauf hinweisen, dass jemand oft vorbeikommt. Ihre Enkelin, so erklärt sie. 2014
gestorben mit neun Jahren. Autounfall. Das Schicksal hat die Welt aus den Fugen
gebracht. Seitdem gibt es Eltern, die nicht darüber hinwegkommen, ihr Kind
verloren zu haben, die untröstliche Großmutter, die über ihr einziges Enkelkind
trauert, der Großvater, der kurz danach vor Kummer gestorben ist. Wenigstens
konnten sie das Nachbargrab für ihn bekommen. Da liegt das Kind nicht so
alleine da, sagt sie.
Was für ein kleines trauriges Glück.
Ich höre zu, weiß gar keine Worte, denke mir, dass sie auch
schon alles gehört hat, und dass es ja doch die Wunden nicht heilt. Einen
Moment stehen wir still da und trauern gemeinsam.
„Damit muss man dann leben“, sagt sie leise. „So viele
Jahre nun schon.“
Was der Mensch alles aushalten kann, denke ich.
Montag, 22. November 2021
Gespräche an Totensonntag
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