Mittwoch, 10. Mai 2017

Bücherwürmer in der Familie



Eigentlich hatte ich mich längst damit abgefunden, in einer Familie mit Bücherignoranten zu leben. Besonders was das Lesen meiner eigenen Bücher betraf, traf ich immer wieder lediglich auf höflich Gesichter, aber nie auf Leser. „Was? Das Buch hast du wieder geschrieben. Oh ja … sehr… äh … toll …“ Und dann blätterten sie höflich lächelnd das Buch durch und warteten auf den Moment, es wieder zur Seite legen zu können, ohne mich zu beleidigen.
Nun aber habe ich endlich Verstärkung bekommen – in meinem jüngsten Enkelkind Jonte. Nach den Wörtern „Mama“, „Papa“ und „Eis“ war „Buch“ das vierte Wort, das er sprechen konnte. Und schon als man sich noch gar nicht sicher war, was er eigentlich erkennen konnte, steckte er seine kleine Nase in alle nur erdenklichen Wimmelbücher und ließ sie sich von seinen Eltern erklären.
Jetzt ist ein Tag ohne Buch für ihn gar nicht mehr denkbar. Schon nach dem Aufwachen schleppt er mindestens fünf Büchern ins Bett seiner Eltern. „Buch singen“, sagt er. Offenbar klingen die Reime wie Musik in seinen Ohren. Seine Eltern sehen noch ziemlich verschlafen aus – immerhin ist es sechs Uhr morgens – aber sie „singen“. Sie singen ganze Arien von Büchern rauf und runter. Jonte lauscht und schaut mit weit aufgerissenen blauen Augen auf die Seiten.
Längst können seine Eltern alle Bücher auswendig, selbst Jonte kann die letzten Reime mitsprechen. Und wenn sie ihm etwas Gutes tun wollen, schenken sie ihm ein neues Buch. Buchhandlungen sind ein Fest für Jonte, und es gibt jedes Mal ziemliche Verhandlungen, damit er tatsächlich erst mal nur ein Buch mitnimmt.
Für mich könnte das echt ein Anreiz werden, mit dem Reimen anzufangen – allerdings bin ich nie über das Reimen von Geburtstagsgedichten hinweggekommen… und ob sich Jonte auf das Niveau einlässt, ist fraglich. Aber für später sehe ich endlich mal die Chance auf mich zukommen, dass jemand in meiner Familie meine Bücher liest!


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